24.07.2012
Ihr Herz schlägt für Niederursel
Hannah Stein lädt als 19. Müllerin von Ursella zum Kerbewochenende ein.
Der richtige Mix aus Tradition und Jugend hat Hannah Stein zur neuen Müllerin von Ursella gemacht. Die 21-Jährige liebt ihren Stadtteil – und die Natur drumherum. Ein Stadtteilspaziergang.
Die Idylle ist perfekt: Zwei mächtige Bäume vor der Niederurseler Kirche spenden Schatten, das Gras ist noch feucht vom Morgentau. Und mittendrin steht Hannah Stein, 21 Jahre alt, im rotkarierten Dirndl. Gestatten: Die 19. Müllerin von Ursella, Maskottchen der Kerb, die der Bürgerverein Niederursel-Nordweststadt und die Feuerwehr jährlich auf die Beine stellen. Als ein Windstoß Hannahs Haare zur Seite weht, blitzen zehn Stecker an beiden Ohren im grellen Sonnenlicht. Ein Hauch von Rebellion im traditionellen Amt? Hannah zupft lachend ihre Schürze zurecht. "Man muss eben die richtige Mischung finden aus Tradition und jugendlichem Schwung."
Die scheint sie zu haben – und fiel damit Wolfgang Jung, dem Vorsitzenden des Bürgervereins, auf. Hannahs Vater Uwe Stein machte ihm jedoch wenig Hoffnung: "Er befürchtete, dass sie absagt. Es gehört ja ein ganz schönes Maß an Extrovertiertheit dazu, um Niederursel als Müllerin zu repräsentieren", sagt Jung. "Ich versuchte es trotzdem. Schließlich ist Hannah hier aufgewachsen und eng mit dem Stadtteil verbunden. Es ist nicht einfach, unter diesen Voraussetzungen immer wieder neue Damen zu finden."
Hannah überraschte ihren Vater; sie sagte sofort zu. "Warum auch nicht. Viel ist ja nicht zu tun: Lächeln, winken, Rosen werfen", sagt sie, während sie durch die Gassen des alten Ortskerns spaziert. Sie möchte sich ein wenig die Beine vertreten, während Uwe Stein und Wolfgang Jung im "Lahmen Esel" das Kerb-Programm durchgehen. Draußen blinzelt sie gegen das Sonnenlicht. "Schön ist es hier."
Übt Motorradfahren
Die junge Frau schätzt Niederursel als ideale Mischung zwischen dörflichem Charme und direkter Nähe zur lebendigen Innenstadt. Ihre roten Pumps klicken auf dem Asphalt; die Farbe harmoniert mit dem Rosenstrauß, den sie fürs Foto mitgebracht hat. Sie hebt die Hand und zeigt mit klimperndem Armband in Richtung Autobahnbrücke. "Dort hinten übe ich zurzeit Motorradfahren. Ich habe vor zwei Jahren den Führerschein gemacht und seitdem nicht mehr auf einer Maschine gesessen. Jetzt hat mir mein Cousin sein Motorrad geschenkt – ich muss mich erst wieder rantasten." Welche Farbe hat es? Rot? Sie schüttelt den Kopf. "Lila und Schwarz. Je nachdem, wie das Licht darauf fällt."
Eine Symbolfigur
Die Mittagssonne wirft harte Schatten auf den Gehweg und lässt das Wasser im Urselbach glitzern. Zwei Jungen stehen mit hochgekrempelten Hosen in den seichten Fluten, fangen Stichlinge. Sie habe früher auch oft am Bach gespielt, erinnert sich Hannah. Eine gute Voraussetzung für ihr neues Amt. Die Müllerin von Ursella ist eine Symbolfigur, weil der Urselbach, der im Taunus entspringt und in Heddernheim in die Nidda mündet, früher viele Mühlen zum Klappern brachte. Sie wurde vor 19 Jahren vom Bürgerverein erfunden, um an die Geschichte des Stadtteils zu erinnern. Die meisten Mühlen gibt es heute nicht mehr. "Schade", sagt Hannah.
Die Natur liegt ihr am Herzen. Deswegen führt sie ihr Weg zielstrebig zum Kirchplatz mit seinen Rosenranken und dem malerischen Blick über Niederursel. Hannah kommt gern hier her, wenn sie etwas anderes sehen will als Petrischalen und Reagenzgläser; sie macht gerade im Nordwest-Krankenhaus eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Laborassistentin.
Suche nach Spike
Hier, auf den Mauervorsprüngen, lässt es sich gut nachdenken. Hannah lässt den Blick schweifen. "Das Gras wäre was für Spike, meine griechische Landschildkröte", schmunzelt sie. Neulich war Spike unauffindbar. Den ganzen Garten hatte sie abgesucht, war schon verzweifelt – und fand den Ausreißer zwischen den SPD-Wahlplakaten ihres Vaters. "Eine rote Schildkröte, sozusagen." Hannah lacht auf. Ihre Ohrringe blitzen.
Von Julia Rösch. Artikel Frankfurter Neue Presse vom 24. Juli 2012.
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