25.08.2016
Alt-Niederursel soll moderner werden
In Planungswerkstätten überlegen Anwohner und Geschäftsleute, wie Alt-Niederursel aussehen soll. Alle sind sich einig: Der Stadtteil hat Potenzial.
Die Zeit ist bei Bernd Ober allgegenwärtig, er ist so etwas wie ihr Hüter. In seinem kleinen Laden in Niederursel sitzt er am Arbeitstisch, in der Hand hält er eine Armbanduhr. „Vor 25 Jahren war die Uhrmacherei hier noch eine richtige Bank“, sagt der 64-Jährige. Im Hintergrund knistert das Radio. An einer Wand hängen Dutzende Uhren, einige ticken leise, die Zeit vergeht, sie verändert. Heute, erzählt Ober, trage sich das Geschäft fast nur noch durch Reparaturen. So sehr ist die Zeit schon vorangeschritten. Vor seinem Laden an der Kreuzung Kirchgartenstraße und Alt-Niederursel indes scheint die Zeit längst stehengeblieben zu sein.
Der historische Ortskern von Niederursel, der Straßenzug Alt-Niederursel, die Beleuchtung, der Werner-von-Ursel-Platz – all das soll zeitgemäßer werden und, so der erhoffte Nebeneffekt, Geschäfte wiederbeleben. Auf 54 Seiten steht, wie das gemacht werden könnte. Im Konjunktiv, denn mehr als eine Ansammlung von Ideen ist der Rahmenplan der Stadt Frankfurt für Niederursel derzeit nicht.
„Bei so einem Plan geht es darum, städtebaulich mal zu überlegen, was in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren gemacht werden könnte“, sagt Beate Huf vom Stadtplanungsamt. Die Experten haben dabei den alten Ortskern im Blick, der vom Weißkirchener Weg, dem Oberurseler Weg, der Spielsgasse und dem Urselbach abgegrenzt wird. In dem Gebiet habe man dörfliche Strukturen und historische Bausubstanz, die es zu erhalten gelte, sagt Huf.
Bereits 2012 hat die Stadt mit allen Fraktionen des Ortsbeirats 8 und Bürgern Gespräche geführt – weil nur sie die Wichtigkeit einzelner Maßnahmen bewerten konnten. Die Resonanz war gering. Von 16 000 Einwohnern kamen zur ersten Planungswerkstatt 50, zur zweiten 80 Bürger. Priorität hat für sie alle die Erneuerung des Straßenzuges Alt-Niederursel im Bereich zwischen Obermühlengasse und Karl-Kautsy-Weg.
„Würde die ausgebessert, wäre das schon schön“, sagt eine Seniorin, die mit zwei weiteren Frauen einen Kasten Wasser über den aufgeplatzten, unebenen Asphalt der Straße Alt-Niederursel unweit von Obers Uhrenladen trägt. Der Bürgersteig ist stellenweise so schmal, dass es fast nicht möglich ist, darauf zu gehen. „Ich bin hier öfters schon hängen geblieben und hingefallen“, sagt eine andere Seniorin.
Vom Rahmenplan haben sie noch nie etwas gehört. Dieser sieht vor, die Straße Alt-Niederursel und ihre Gehwege auf eine Höhe anzugleichen. So seien Fußgänger und Autofahrer gleichberechtigt, das fördere die gegenseitige Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, heißt es in dem Plan.
Norbert Hartmann hat davon noch nichts gehört. Sein Schreibwarengeschäft hat er schon über ein Jahrzehnt an Alt-Niederursel 1. „Der Zustand der Straße ist nicht zumutbar“, findet er. Aus dem Schaufenster seines Ladens schaut er hinüber auf das Autohaus-Areal, auf einen leerstehenden, beschmutzten Glaskasten. Das Areal ist auch Thema im Rahmenplan sowie seit längerem im Ortsbeirat 8.
Das Stadtteilgremium will gegen den Leerstand in Niederursel vorgehen und den Stadtteil aufwerten. „Hier gibt es einiges an Potenzial“, findet Ortsvorsteher Klaus Nattrodt (CDU). Seit 2005 habe sein Gremium daher immer wieder den Magistrat gebeten, etwas für Niederursel zu tun. Seine Partei habe den Rahmenplan überhaupt erst auf den Weg gebracht. Das Potenzial des nördlichen Stadtteils wolle man nutzen, der alte Charakter aber solle erhalten bleiben, „es soll punktuell aufgewertet werden“, betont der Politiker. Dass der Leerstand Kunden vertreibe, kommt im Ortsbeirat immer wieder auf. Derzeit stehen insgesamt sechs von 29 Geschäften leer. Hartmann bewertet das nicht negativ, „so kommen doch mehr Kunden zu uns“, findet der Schreibwarenhändler.
Beate Huf erzählt, für sie als Stadtplanerin sei Niederursel wegen seiner historischen Bebauung besonders reizvoll. Das sehen zwei Kundinnen im Lebensmittelgeschäft „Fruchtbare Erde“ ganz ähnlich. In Niederursel sei es noch schön, nicht so seelenlos wie in anderen Stadtteilen. Und: Man solle alles so lassen, wie es ist, finden beide. Sie wohnen aber nicht in Niederursel. Die eine lebt in Bergen-Enkheim, die andere in Sachsenhausen. Nach Niederursel kommen sie nur zum Einkaufen.
Der gedrungene Herr, der unter einem Wellblechdach seine Auto-Werkstatt nur wenige Meter von Bernd Obers Uhrengeschäft entfernt betreibt, hat für die Ideen der Stadtplaner wenig übrig. „Hier werden sich Gedanken gemacht, die 200 Jahre niemanden interessiert haben“, klagt Michael Renker. Wofür brauche es neue Fußgängerwege, wenn es doch sowieso keine Fußgänger gebe. „Das ist ein alter Ortskern und wird auch einer bleiben“, man solle sich besser um Vorhandenes kümmern, als komplett zu sanieren, „das geht in die Hose“, prophezeit der 56-Jährige.
Artikel Frankfurter Rundschau, vom 24.08.2016.
Von Julian Loevenich
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