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26.11.2017

Trauern mit Hammer und Meißel

Ein Bildhauer in Niederursel gestaltet Grabsteine gemeinsam mit den Hinterbliebenen. Diese verarbeiten damit ihre Trauer - manchmal kommen dabei Konflikte ans Licht.

Gebrüllt und geschrien habe der, als er auf den Steinblock eingeschlagen hat, erinnert sich Joachim Kreutz. Vor 30 Jahren trat ein Freund mit einer ungewöhnlich Bitte an den inzwischen 63-jährigen Bildhauer heran. „Er wollte den Grabstein für seine an Leukämie verstorbene Frau mit mir gestalten.“ Zuerst habe sein Freund wütend und zornig auf den Stein eingedroschen. „Und dann hat er mit einer unglaublichen Hingabe eine Rose hineingemeißelt.“

Kurz nach der Beerdigung hätten die Freunde am Grab gebetet. „Da haben wir Rotz und Wasser geheult“, erzählt Kreutz, „das Ganze war irgendwie auch so eine seelsorgerische Geschichte.“ Inzwischen ist er davon überzeugt, dass das Hämmern, Meißeln und Schleifen am Grabstein den Trauerprozess unterstützen kann - um die 20 Grabsteine fertige er jedes Jahr mit Hinterbliebenen an.

Das Atelier des Bildhauers ist in einer alte Scheune in Niederursel, einem dörflichen Stadtteil im Nordwesten von Frankfurt - aus dem Garten sieht man eine Pferdekoppel. „Hier kann ich bis nachts um vier so laut sein, wie ich will“, sagt er. Und auch sonst passt der Bildhauer mit seiner Wollweste und seinen großen, rauen Händen gut hierher. Man könnte sich ihn auch als Schäfer vorstellen, der morgens um 5 Uhr mit seiner Herde loszieht.

„Der Tod ist endgültig“, sagt Kreutz. Vor allem wenn Menschen unerwartet früh sterben, etwa bei einem Unfall, fühlten sich die Hinterbliebenen oft ohnmächtig. „Beim Gestalten des Grabsteines machen die Angehörigen diese Endgültigkeit nochmal durch.“

So müssten bei der Bildhauerei permanent unwiderrufbar Entscheidungen getroffen werden - jeder Stoß mit dem Meißel schlage einen Teil des ursprünglichen Materials ab. Das oft rhythmische Einschlagen auf den Stein mache die Endgültigkeit des Todes begreifbar und sinnlich erfahrbar.

Zuerst gibt es ein Modell aus Ton

Anders als beim plötzlichen Ableben, stehen die Angehörigen dem aber im Atelier von Kreutz nicht ohnmächtig gegenüber - sie haben Hammer und Meißel in der Hand und sie entscheiden, was abgeschlagen wird. Und am Ende des Zerstörungsprozesses stehe immer der neugestaltete Grabstein. Weil vieles unwiderruflich wegfällt, entsteht etwas Neues. „Man macht das Endgültige nach, aber man ist nicht mehr ohnmächtig, sondern gestaltet es selbst.“

„Zuerst mache ich mit den Hinterbliebenen ein Modell aus Ton“, erklärt Kreutz. Anschließend helfe er bei der Bearbeitung des Grabsteines - bei Familien mit Kindern beziehe er diese auch immer in den Prozess ein. Entweder am Stein selbst oder indem sie kleine Figuren für das Grab basteln.

„Oft spiegelt sich in dem Grabsteinen das Verhältnis zu den Verstorbenen.“ Er habe beobachtet, dass erwachsene Männer, die eine komplizierte Beziehung zu ihrem Vater hätten, häufig kantige und schroffe Steine gestalten. Ein weiterer Aspekt der Trauerarbeit, die der Bildhauer leistet: Die Hinterbliebenen machen sich durch die Arbeit am Material ihre Beziehung zu den Verstorbenen bewusst.

Er habe in den zurückliegenden Jahren oft darüber nachgedacht, warum Menschen überhaupt Grabsteine aufstellen, erzählt Kreutz. Inzwischen glaubt er, dass das etwas mit der „physischen Präsenz“ zu tun habe, die man einnimmt, solange man auf dieser Erde weilt. „Der Grabstein stellt diese Präsenz zumindest symbolisch wieder her.“ Deshalb würden Angehörige den Stein auch putzen oder streicheln.

Früher sei man als Kind jeden zweiten Sonntag mit der ganzen Familie zum Grab des Großvaters gegangen, sagt Kreuz. „Heute gibt es das nicht mehr.“ Die Familienstruktur habe sich seit 30 Jahren geändert - Lebensläufe entwickelten sich häufig auseinander, auch räumlich. „Heute lebt einer in Mannheim, einer in Hamburg und der Dritte ist in Frankfurt geblieben.“

Er glaubt dass das einer der Gründe dafür ist, dass die klassische Erdbestattung mit Sarg und Grabstein zurückgeht. Es sei niemand mehr da, um das Grab zu besuchen und zu pflegen, sagt er. Deshalb würden anonymere Formen, wie der Friedwald oder die Seebestattung attraktiver. Kreutz erzählt das alles ohne Argwohn. Es sei einfach der Lauf der Zeit.

Überhaupt wirkt Kreutz nicht wie jemand, der missionieren möchte. Was er mache, sei eine absolute Nische. Einigen helfe es, „aber für viele ist es auch in Ordnung bei einem normalen Steinmetz einen Grabstein zu bestellen“.



Artikel Frankfurter Rundschau, vom 26.11.2017. Von Moritz Elliesen

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