18.08.2018
Klimaforscher erklärt die Temperaturunterschiede in der Stadt
Im Mertonviertel ist es viel kühler als an anderen Orten der Stadt. Und es ist grün. Dort gibt es Lebensräume für ganz unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten. Warum das so ist, erklärten Experten bei einer Führung, zu der die Standortinitiative Mertonviertel eingeladen hatte.
Von der Hochdeponie im Mertonviertel hat man einen wunderbaren Blick auf das Naturschutzgebiet Riedwiesen, das gut 20 Hektar umfasst. Es ist Teil der ursprünglichen Nidda-Auen. Früher bedeckten sie weite Flächen zwischen Niederursel und Heddernheim. Durch die Ansiedlung von Industrie und den Bau der Autobahn wurden die Riedwiesen immer kleiner. Seit 1983 sind sie als Naturschutzgebiet ausgewiesen und dürfen daher nicht von Spaziergängern betreten werden.
Ingolf Grabow vom Naturschutzbund (NABU) hat einen Schlüssel, um auf das Gelände der Hochdeponie zu gelangen und öffnet das Tor, das sich nur ein paar Schritte von der U-Bahn-Haltestelle „Riedwiese“ befindet.
Drei Experten
Die 2009 gegründetet Standortinitiative Mertonviertel hat Interessierte zu einer Führung eingeladen. Die Themen „Umwelt und Klima im Mertonviertel“ stehen dabei im Mittelpunkt. Das Quartier, dessen Gestaltung schon in den 80er Jahren begann, besteht aus einer Mischbebauung von Wohnhäusern und Bürogebäuden.
Neben Ingolf Grabow sind noch zwei weitere Experten bei der Führung mit dabei: Hans-Georg Dannert, Leiter Stadtklima beim Umweltamt und Vorsitzender des Umweltforums Rhein-Main, sowie Christa Mehl-Rouschal, stellvertretende Leiterin der Unteren Naturschutzbehörde.
Für die Öffentlichkeit ist es normalerweise nicht erlaubt, sich auf dem Gelände der Hochdeponie aufzuhalten. Über einen Holzsteg, über den sich bereits Brombeersträucher ziehen, geht es zu den Treppen, die auf das Plateau der Hochdeponie führen. Diese Fläche wurde viele Jahre lang als Parkplatz genutzt, den das frühere Frankfurter Unternehmen Lurgi dort für seine Mitarbeiter eingerichtet hatte.
Die Deponie entstand, als die Altlasten der einst im Viertel ansässigen metallverarbeitenden Betriebe wie etwa die Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM) in den 90er Jahren dort gelagert und dann abgedeckt wurden. Auf dem Gelände wuchs ein Hügel heran, der sich heute ganz in Grün zeigt, denn die Natur ist dorthin zurückgekehrt.
Rund 120 Treppenstufen müssen zurückgelegt werden, um auf das Plateau zu gelangen. Die versiegelte Fläche des früheren Parkplatzes ist an vielen Stellen aufgebrochen, die Natur beginnt sich auch hier ihren Platz zurückzuholen – verschiedene Sträucher und kleinere Pflanzen wachsen aus dem Boden heraus.
„Seit 2013 wird der Parkplatz nicht mehr genutzt“, erzählt Grabow den Teilnehmern. Er wünscht sich, dass dieser zu einem Lebensraum für den Flußregenpfeifer umgestaltet wird. Das ist eine Vogelart aus Europa, die unter anderem Kiesflächen mag. „Den Lebensraum zu schaffen, ist mit wenigen Maßnahmen zu realisieren“, sagt er weiter.
Dass die Umgebung der Deponie ein Lebensraum für ganz unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten ist, liegt an den Riedwiesen und weiteren Grünflächen, die Teil des Frankfurter Grüngürtels sind. „Am Rande der Deponie wurde vor einigen Jahren bereits ein Ersatz-Lebensraum für die Wechselkröte geschaffen“, schildert Christa Mehl-Rouschal. Die Amphibie sei vor vielen Jahren in einer Baugrube des Mertonviertels entdeckt und unter anderem an den Rand der Deponie umgesiedelt worden. In den Riedwiesen selbst lebten beispielsweise verschiedene Libellen- und Molcharten, zählt sie beispielhaft auf. Auch Vögel wie der Buntspecht fühlten sich dort sehr wohl.
Kaltluft-Quelle
Das Besondere am Mertonviertel ist aber vor allem, dass die Temperaturen im Durchschnitt wesentlich niedriger sind als an anderen Orten der Stadt. Denn es profitiert von den Winden, die beispielsweise vom Taunus kommend durch das Nidda- und Urselbachtal ziehen. „Kaltluft entsteht auf den Äckern“, erklärt Hans-Georg Dannert vom Umweltamt. Da die Kaltluft schwerer sei, könne diese über die Täler in die Stadt abfließen. In der zweiten Nachthälfte komme zudem Regionalwind aus der Wetterau mit dazu, die Kaltluft-Höhen variierten. „Es können Temperaturunterschiede von bis zu zehn Grad zwischen dem Mertonviertel und der Innenstadt entstehen, wo es am wärmsten ist“, beschreibt er die Situation. Bei der Planung von zu bebauenden Flächen müsse daher immer berücksichtigt werden, dass dort, wo die Kaltluft entstehe und wo diese zum Fließen gebracht werde, nicht gebaut werden dürfe.
Auch im Büropark des Quartiers gebe es wegen der Begrünungen ein gutes Mikroklima. Dannert macht darauf aufmerksam, dass jeder etwas zu einem guten Stadtklima beitragen könne beispielsweise durch Begrünungs-Maßnahmen an Fassaden und Dächern oder die Entsiegelung von Flächen. Das von der Stadt aufgelegt Programm „Frankfurt frischt auf“ unterstütze solche Projekte.
Artikel Frankfurter Neue Presse, vom 18.08.2018. Von ALEXANDRA FLIETH
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