30.08.2018
Und oben wacht die Liese
Die Feuerwehr stellt den Baum, die Gäste im Festzelt schunkeln sich warm und die Müllerin sticht das Fass an: Es ist Kerb in Niederursel.
Noch hängen die gelben, roten und lila Bänder schlaff von der Tanne herab. Ein fahrbahrer Kran mit schier menschenhohen Reifen hebt den meterlangen Stamm sachte an. Die Helfer der Freiwilligen Feuerwehr Niederursel legen hektisch Hand an, bugsieren das Ende des Stammes in einen geöffneten Gully. Der Wipfel steigt immer höher über die zahlreichen Schaulustigen, übersteigt die umliegenden Scheunen und Fachwerkhäuschen, schließlich steht der Baum senkrecht.
Jetzt muss es schnell gehen. Große Holzkeile werden parallel zum Stamm mit einem Hammer in den Schacht getrieben. Die erste Brise lässt die bunten Bänder tanzen, sie strahlen wie ein Echo aus Farben auf die vielen Rosengewächse in den Gärten und Gassen zurück. Der Festbaum steht und die zahlreichen Besucher der Niederurseler Kerb brechen in Jubelrufe aus. Unter den Blicken der Menge wird die Kerbeliese auf ihrem wackeligen Holzstuhl an einer Winde den Baum hinaufgezogen, ins Sonnenlicht.
„Die Liese, die wacht über die Kerb und sorgt für gutes Wetter“, erklärt Stefan Schmidt, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr mit einem Grinsen. Die Tradition gibt es nun schon seit 15 Jahren.
Die Stimmung auf den Bänken ist geruhsam
Ungefähr so lange stellt auch die Feuerwehr den Festbaum auf und organisiert mit den Bürgervereinen der Nord-Weststadt und Niederursel, dem Landfrauenverein und den angesessenen Sportvereinen die Kerb. Unter den sorgsamen Blicken der Liese, die bestimmt auch die festlichen Ausschweifungen gutheißt.
„Freitag Nacht, da hat hier in der Festhalle ein DJ aufgelegt. Da ging das Fest für einige bis drei Uhr“, erzählt Schmidt und sein Grinsen wird breiter. Die Menge unterdessen verteilt sich, strebt auf die Schießbuden, Süßigkeitenstände und das Karussell zu. Andere zieht es vor die Bühne in die zur Tanzhalle umfunktionierte Scheune. Der Klaapariser Musikzug der Kolpingfamilie Heddernheim bläst den Ramba-Zamba-Samba, einige hält es nicht mehr ruhig auf den Bänken. Sie schunkeln mit. Wenige Meter über ihnen wiegen sich auch der Festbaum und die Liese sanft hin und her, als wären auch sie von der Musik ergriffen.
Die Müllerin von Ursella, Yasmin Fröhlich, sticht das Fass an, zapft die ersten Humpen und verteilt sie an die auf Bierbänken sitzenden Gäste. Darunter hoher Besuch, die Brunnenkönigin von Sachsenhausen mit ihrem Gefolge, den Bergersleut in ihren charakteristischen, blumigen Kleidern und Strohhütchen. Im Trubel sitzt auch Johanna Bonmot und hat Appetit auf einen Handkäse. „Gestern nach der Arbeit bin ich noch ein bisschen durch die Gassen geschlendert und habe gesehen wir hier alles aufgebaut wurde“, erzählt die Endzwanzigerin. Sie ist gern im Ort und schlendert den Urselbach entlang. „Ich habe hier im Hort einen Großteil meiner Kindheit verbracht.“
Die Stimmung auf den Bänken ist geruhsam. Zumindest noch, denn zum Abend hin sollen Bänke und Tische vor der Bühne verschwinden. Dann gibt es von dort Livemusik und geschunkelt wird im Stehen.
Artikel Frankfurter Rundschau, vom 27.08.2018. Von André Daub
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