23.01.2006
...zum 120. Geburtstag des Städteplaners Walter Schwagenscheidt
Er gilt als der Vater der Nordweststadt.
Von Oscar Unger.
Walter Schwagenscheidt. Dabei hat der Architekt und Planer dort kein einziges Haus gebaut. Heute vor genau 120 Jahren, am 23. Januar 1886, wurde der Visionär in Elberfeld bei Wuppertal als Sohn eines Fabrikarbeiters geboren. Und als eines von 16 Geschwistern.
Das prägte Schwagenscheidt schon früh, ist Wurzel seiner späteren Vorstellungen von Architektur, seiner von innen nach außen gerichteten Häuser und zugleich Grundstein für die Idee von der Raumstadt. In seinem gleichnamigen Buch schreibt er: «Zwischen Blumen und Schmetterlingen sollen die Menschen leben, abseits der lauten gefährlichen Straßen, in ruhigen, von Natur umschlossenen Räumen.» Das war 1949. Doch die Idee zu seiner Idealstadt ist viel älter. Bereits 1920 skizziert er sie für eine Ausstellung.
Das Grundprinzip: Die Häuser richten sich nicht mehr nach Straßen oder in Zeilen aus, sondern bilden Gruppen. Die wiederum erzeugen in ihrem Zentrum aber auch untereinander hofartige Freiflächen. Lichte Räume eben.
Sonnenlicht und der
Trick mit dem Dreh
Licht, Luft und Natur sind es auch, die den jungen Architekten besonders faszinieren und inspirieren. An der Technischen Hochschule Aachen, wo er am «Lehrstuhl für Bürgerliche Baukunst und Städtebau» assistiert, untersucht er den Sonneneinfall auf Wohngebäude. Und erkennt, dass die bis dahin meist in strenger Nord-Süd oder Ost-West-Richtungen angeordneten Häuserzeilen um 22,5 Grad gedreht werden müssten, um im Jahresschnitt eine optimale Licht- und Wärme-Ausbeute zu haben. Heute würde man auch von Wohlfühleffekt sprechen.
Ein Ergebnis, das auch Walter Gropius (1883 bis 1969), zu diesem Zeitpunkt Bauhaus-Direktor in Weimar, aufhorchen lässt, wie ein Brief belegt. Auf den überdurchschnittlich talentierten Schwagenscheidt, der nur acht Jahre lang die Grundschule besuchte, dann eine Lehre als Technischer Zeichner absolvierte und erst später ein zweisemestriges Architektur-Stipendium seiner Heimatstadt erhält, wird aber auch ein anderer aufmerksam.
Ernst May.
Ein halbes Jahr jünger als Schwagenscheidt, hat es der Frankfurter schon zum Dezernenten für das gesamte Hochbauwesen seiner Heimatstadt gebracht. Er macht Schwagenscheidt zum technischen und künstlerischen Leiter der Gartenstadtgesellschaft. Doch nur wenige Monate später beauftragt der Sowjet der UdSSR May mit der Oberleitung des gesamten Städtebaus in dem riesigen Land. Im Oktober 1930 zieht der Schöpfer und Motor des Neuen Frankfurt mit einer Gruppe deutscher Architekten gen Osten. Mit dabei: Walter Schwagenscheidt.
«Wir lebten alle gemeinsam in einem Haus. Planten Städte. Viele. Und bauten weniges davon», erinnerte er sich später. Und: Der Kontakt zu den Russen sei meist herzlich gewesen. «Niemand verlangte, dass wir Kommunisten wurde. Sie sagten, davon hätte sie schon genug.» Drei Jahre lang dauert das Engagement. Dann ist Stalin der Architektur der neuen Sachlichkeit überdrüssig. Träume, Räume – plötzlich Schäume. Die Gruppe kehrt zurück; Walter Schwagenscheidt lässt sich als freier Architekt und Planer in Kronberg am Taunus nieder.
Erst Weihnachtsmann,
dann Senior-Partner
Dort lernt er noch im selben Jahr seinen späteren Kompagnon Tassilo Sittmann kennen. Mit ihm wird er knapp 20 Jahre später eine Bürogemeinschaft eingehen und das Konzept für die Nordweststadt ausarbeiten. Doch noch ist der Partner von morgen ein fünf Jahre alter Steppke, für den Schwagenscheidt, der mit den Eltern befreundet ist, den Weihnachtsmann gibt. Verkleidet mit der Pelzkappe, die er bei seinen Ausflügen nach Sibirien trug. Später entwirft er für die Familie ein Haus, das allerdings nie gebaut wird.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich tatsächlich ausgeführte Projekte. Neben verschiedenen Einfamilienhäusern in Kronberg auch Siedlungsbauten in Köln, Deggendorf, Gevelsberg und der Lüneburger Heide. Und noch immer beschäftigt ihn die Raumstadt, entwickelt er die Idee weiter. Wie ein Wanderprediger sei er durch das Land und ganz Europa gezogen, habe für seine Idee geworben.
Dann die späte Genugtuung.
1959 schreibt die Stadt Frankfurt einen Ideenwettbewerb für eine Trabantenstadt in ihrem Nordwesten aus. Gedacht für rund 25 000 Menschen, die einmal auf dem 170 Hektar großen Areal zwischen Römerstadt und Niederursel leben sollen. Schwagenscheidt/Sittmann belegen mit ihren Entwürfen zunächst nur den dritten Platz, werden aber ein Jahr später mit der endgültigen Planung beauftragt. Der Senior im Team ist da bereits 74 Jahre. Einem Freund schreibt er: «Andere sind in meinem Alter längst anständig begraben, und ich soll die Aufgabe meines Lebens beginnen.»
Die sieht neben Häusergruppen, Tiefgaragen und kleineren Einkaufszentren die strikte Trennung von Fuß- und Radwegen auf der einen, sowie Straßen auf der anderen Seite vor. Die liegen teilweise tiefer, verschwinden so beim Blick über die großzügigen Grünanlagen. Ursprünglich 17 Brücken ermöglichen dennoch den direkten und gefahrlosen Übergang und verbinden das 30 (!) Kilometer lange Wegenetz. 1961 wird mit den ersten Erdarbeiten begonnen, drei Jahre später sind schon 1200 Wohnungen fertig. Die Einweihung des Nordwestzentrums und die Eröffnung der U-Bahn-Linie dorthin am 4.Oktober 1968 gelten als der vorläufig letzte Stein der neuen Siedlung.
Schwagenscheidt soll das Fest nicht mehr erleben. Er stirbt am 16. Januar desselben Jahres, eine Woche vor seinem 82. Geburtstag.
So grün, wie er die Nordweststadt beschrieb und wie sie heute ist, hat er sie nicht mehr gesehen. Doch was ihn und Sittmann viel mehr grämte, war der Umstand, dass sie keine der von ihnen selbst entworfenen Häusergruppen realisieren konnten. Und dass die drei Siedlungsbaugesellschaften, die zum Zuge kamen, aus Kostengründen viele Ideen des Architekten-Doppels nicht aufnahmen. Angefangen von begrünten Dachterrassen für alle Mieter über Gemeinschaftsräume bis hin zu altengerechten Wohnungen. Mit Planung und Gestaltung des Nordwestzentrums hatte die beiden nichts zu tun.
Ein kleiner Platz für
den großen Visionär
In Kronberg, wo Schwagenscheidt bis zu seinem Tode lebte und auch beigesetzt ist, hat die Stadt eine Straße nach ihm benannt. In Frankfurt gibt es einen Vorschlag des zuständigen Ortsbeirats 8, den kleinen Platz zwischen NWZ und Bernadottestraße, dort, wo der völlig zugewucherte Baukran als Relikt der Anfangszeit der Siedlung steht, nach dem Mann mit den ebenso großen wie großzügigen Ideen zu benennen. Jetzt muss nur noch der Magistrat zustimmen.
An der Zeit wäre es. Oder, wie an anderer Stelle zu lesen ist: Du sollst den Vater ehren . . .
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