09.06.2004
Staatliches Schulamt lenkt nach Protest zum Erhalt des integrativen Unterrichts ein
Unter 20 Stunden geht nichts
Auch die Diesterwegschule beteiligt sich nun am stadtweitem Aktionsbündnis gegen den Stellenabbau im «Gemeinsamen Unterricht» (GU) der integrativen Klassen. Rund 30 Schüler, Lehrer und Eltern zogen von der Schule zum Staatlichen Schulamt, um mit Vertretern der anderen integrativen Schulen sowie Kindergärten, Horten und Kindertagesstätten zu demonstrieren. Dort fand zeitgleich eine Konferenz zum Thema statt. Die Ergebnisse will das Staatliche Schulamt heute bekannt geben. Die FNP erfuhr bereits gestern: Die Gesprächspartner einigten sich auf die Sicherung von 20 Wochenstunden im GU.
«Auch an unserer Schule würde dann eine Lehrkraft wegfallen», sagte Barbara Mehrl, Elternbeirätin der Klasse 1b. Damit seien pro integrativer Klasse, die eine Grundschullehrerin und eine Sonderschulpädagogin gemeinsam betreuen, nur noch 15 Wochenstunden GU mit förderbedürftigen Schülern möglich. «Das ist eindeutig zu wenig, unter 20 Wochenstunden leidet die Qualität des Unterrichts», warnte Frau Mehrl. Eltern und Lehrer wollen den guten Ruf der Diesterwegschule halten.
Die Eltern haben Angst, dass dann der Schritt zur Alternative nicht mehr groß ist: Besser keinen GU als schlechten GU. «Das bedeutet aber, dass Schüler mit Lern- und Konzentrationsstörungen, die besonders gefördert werden müssen, auf die Sonderschule kommen», erläuterte die Elternbeirätin. Das habe für die teils hochintelligenten «Zappelphilippe» schwere Folgen und Nachteile für ihre schulische wie berufliche Laufbahn. Seit elf Jahren wird der GU an der Ginnheimer Grundschule aufgebaut, zunächst mit einer Sonderschullehrerin und einer Klasse. Heute sind von den 17 Klassen drei doppelt besetzt. So erhalten drei Sonderschüler mit besonderem Förderbedarf eine Lernhilfe.
Mehr als 800 Demonstranten waren vor dem Staatlichen Schulamt versammelt, um wie schon in der vergangenen Woche (wir berichteten) den Stellenabbau ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Mit Pfeifen, Trommeln, Rasseln und Gesang machten sie zwischen den Redebeiträgen lautstark auf sich aufmerksam.
Trotz des Ärgers über die Sparmaßnahmen der Landesregierung hob Helga Burgwinkel vom Verein «gemeinsam leben - gemeinsam lernen» noch einmal den Einsatz der politisch Verantwortlichen in Frankfurt hervor. «Hier hat sich eine Ämter und Parteien übergreifende Integrationskultur entwickelt. Die Finanzierung der Integrationshelfer durch das Jugend- und Sozialamt ist vorbildlich.»
Auch die betroffenen Kinder kamen zu Wort: Max ist auf Grund einer Spastik in der Motorik eingeschränkt und sitzt im Rollstuhl. Er könne dem Unterricht gut folgen, und habe ein Selbstbewusstsein, das für Kinder in seiner Situation nicht selbstverständlich sei, berichtet seine Mutter.
«Wir sind glücklich, und ich habe Freunde gefunden. Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist», schrie Max ins Mikrofon. Sein gesunder Zwillingsbruder besucht wie er die dritte Klasse der Römerstadtschule - in der Parallelklasse.
Ungefähr 500 Unterschriften hatten Elternvertreter dort gesammelt, die sie auf einer Tapetenrolle aufgereiht dem Staatlichen Schulamt übergaben.
Dass es bei den Forderungen des Aktionsbündnisses keine Kompromisslinie gebe, unterstrich Tristan Berberich-Häbel, Lehrer an der Römerstadtschule. «Der Erhalt des Status quo ist das Minimum, das wir brauchen, damit wir erfolgreich arbeiten können.» Mehr als 100 Kindern pro Jahr erhielten keinen Platz im GU; sie landeten auf Sonderschulen. Dadurch werde der Elternwille gebrochen. Seit 15 Jahren ist Berberich-Häbel Integrationslehrer und erlebte die Mühen des Aufbaus für den GU. Für ihn sei die Leichtfertigkeit, mit denen Kürzungen vorgenommen würden, unfassbar.
Wegen der Hitze wurde die Kundgebung in der Stuttgarter Straße nach einer Stunde abgebrochen.
Von Christiane Weiß
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