09.06.2004
Schüler ergründen mit Beratern ihre Probleme
Fünf Lehrer an der Ernst-Reuter-Schule II bieten verhaltensauffälligen Jugendlichen Gespräche an
Die Ernst-Reuter-Schule II hat eine eigene psychotherapeutische Beratungsstelle, die hessenweit einmalig ist. Ein geschultes Team hilft Kindern, die auffällig aggressiv oder besonders still sind.
VON BRIGITTE BIEHL
Es gibt Kinder, die hyperaktiv sind, stören und sich unangepasst im Unterricht verhalten. Andere "träumen" einfach nur, bekommen nichts mit, sind manchmal depressiv. Gerade bei Teenagern in der Pubertät treten solche Probleme auf und wirken sich auf die Schulleistungen aus, so die Erfahrung von Horst Holzschuh, Leiter der Ernst-Reuter-Schule II: "Nur wenn die Schüler stabil sind, können sie gut lernen."
Viele Eltern seien hilflos und überfordert, die Ernst-Reuter-Schule kann sie unterstützen. "Wir haben die Verantwortung, den Schülern den Weg ins Berufsleben zu ebnen. Sitzenbleiben und Schulwechsel vom Gymnasium in die Realschule gibt es hier eben nicht", sagt Holzschuh. "Auch wollen wir keine Kinder mit Handicap aussortieren, sondern gemeinsam Unterricht machen."
Deshalb hat die integrierte Gesamtschule seit 1987 ein eigenes Beratungsteam. Mittlerweile arbeiten fünf Lehrkräfte, drei Frauen und zwei Männer mit psychotherapeutischer Ausbildung, zum Teil im normalen Schulunterricht, zum Teil in der Beratungsstelle. Und dort herrscht reger Zulauf. Meist werden die Schüler von den Lehrern oder von den Eltern zur Beratungsgesprächen angemeldet. "Sie kommen aber immer häufiger auch selbst auf uns zu", berichtet Psychotherapeutin Irene Kircher.
Die Anlaufstelle leistet das, was viele Eltern heute aus Zeitgründen oder Berufsstress nicht mehr könnten: Sie hören zu. "Den Jugendlichen tut es gut, gehört zu werden, ohne dass sie sich bewertet oder verurteilt fühlen", sagt Kircher.
Für die Einzel- oder Kleingruppen-Gespräche können die rund 60 Schüler, die derzeit direkt betreut werden, in der Regel eine Stunde pro Woche dem Unterricht fern bleiben. Dann sprechen sie beispielsweise über ihre Familiensituation, die sie belastet. Folgen davon sind häufig Aggressionen, Schulversagen, Depressionen oder Essstörungen.
Die Psychotherapeuten haben ein großes Netzwerk geschaffen und kooperieren mit andern Institutionen. Sie vermitteln die Jugendlichen nach einer Diagnose bei Bedarf weiter, beispielsweise zur Krankengymnastik oder Logopädie, zu Psychiatrien und Fachinstituten für Legasthenie. Sie arbeiten mit kirchlichen Stellen, den Sozialrathäusern und der Drogenberatung zusammen. Das Team berät darüber hinaus die Lehrer, veranstaltet Projekttage für die insgesamt 1100 Schüler und bietet für die Eltern Gesprächsrunden an, beispielsweise zur Frage "Wie setzte ich Grenzen?".
Der Effekt ist deutlich sichtbar: "Wir sind froh über das ruhige Klima hier. Ohne die Beratungsstelle hätten wir ganz viele Probleme", sagt Leiter Horst Holzschuh. Ob die psychotherapeutische Arbeit künftig fortgesetzt werden kann, ist jedoch ungewiss: Schon jetzt kann die Schule nicht alle Ausfallstunden im Pflichtunterricht abdecken, weil Krankheitsvertretungen fehlen. Was erst aus den Beratungsstunden werden soll, kann Holzschuh kaum abschätzen.
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