23.12.2006
Die Erinnerungen des Herrn H.
Niederursel. „Über dem Weihnachtsfest liegen traurige Schatten. Die Todesfälle häufen sich. Die Verpflegung ist einfach hundsmiserabel.“ Als Friedrich K. Hennemann im Winter 1945 diese Eindrücke aus dem Kriegsgefangenenlager in Chartres in seinem Tagebuch festhält, weiß er nicht einmal genau, ob er den Jahreswechsel überleben wird. Und noch viel weniger kann er ahnen, dass er seine Kriegserlebnisse Jahrzehnte später seiner schwerkranken Frau vorlesen wird – dann allerdings aus einer autobiographisch verfassten Erzählung.
Doch manchmal ist die Welt voller Wunder. Und so konnte Hennemann kürzlich im „jugendlichen“ Alter von 88 Jahren sein erstes Buch „über Wasser....unter Wasser“ im Eigenverlag veröffentlichen. Die ausgearbeitete Zusammenfassung seines fünfbändigen Werkes „Erzählungen aus meinem Leben“, das Hennemann zunächst für Freunde und Verwandte drucken ließ, ist für 19,90 Euro im Buchhandel oder unter http://www.friedrich-hennemann.de erhältlich. „Meine Frau litt damals an einem Schlaganfall. Ich selbst wurde dann auch noch schwerkrank, musste befürchten, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt“, erinnert er sich.
Für diesen Fall wollte Hennemann seiner Frau Ilse die Erlebnisse, die er ihr so gerne erzählte, in Buchform festhalten. Damit Verwandte und Freunde ihr daraus vorlesen können. Außerdem wollte der gebürtige Thüringer der Nachwelt seine Eindrücke hinterlassen, die nicht nur die Kriegsjahre beschreiben, sondern auch interessante Einblicke in seinen Neuanfang und Werdegang in Frankfurt sowie das Leben in der ehemaligen DDR bis zur Wendezeit geben.
Und seit Ilse verstorben ist, verspürt Hennemann noch eine weitere Triebfeder, seine eigene Erkrankung an der Bauchaorta zu überwinden und publizistisch tätig zu sein: „Für mich steht fest, dass das Leiden meiner Frau auch auf Versäumnisse von Ärzten und Pflegepersonal zurückgeht.“ Die gelte es aufzuarbeiten und dabei weiteren Schlaganfallpatienten zu helfen. Deshalb bleibt Hennemann weiter stark, rührt für sein Buch die Werbetrommel: Denn von dem Erlös geht ein Euro an die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.
Geboren wurde Friedrich Hennemann 1918 in Kehmstedt (Südharz). Nach einer kaufmännischen Ausbildung verschlug es ihn schnell zur Marine nach Eckernförde. „Die wollten mich gleich dabehalten, und ich wollte die Welt sehen“, erinnert er sich. Das Abenteuer eines schlimmen Seesturms beschreibt er in seinem Kapitel „Eine Hölle aus Wasser“. Das war 1938. Da wusste Hennemann noch nicht, welch schlimmere Hölle in den Folgejahren auf ihn zukommen sollte.
Doch zunächst wurde der Soldat und Seemann 1939 wegen Gelenkerkrankungen zur Wehrinspektion nach Frankfurt versetzt. Dort lernte er seine Frau kennen, der Krieg brach aus. „Als ich 1941 wieder zur Marine musste, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Kameraden nicht schon vorher unterstützen konnte.“ Hennemann kämpfte vor der französischen Atlantikküste, entging nur knapp dem Kriegsgericht, weil er seine untergebene Truppe vor einem gefährlichen und unnötigen Einsatz bewahrte. Heute sieht er den Krieg anders: „Er ist das größte Verbrechen, das ich je erlebt habe.“
Viel Zeit zur Verarbeitung seiner Erlebnisse blieb Hennemann nicht: Denn auf Krieg und Gefangenschaft folgte der Neuanfang, den der Soldat 1946 mit nur in 56 Kilo schaffen musste. „Da meine Frau immer in Frankfurt lebte, war mir klar, dass ich dort eine neue Existenz aufbauen wollte.“ Weshalb er endgültig zum Binnenländer wurde, auch ein späteres Angebot der Bundesmarine ablehnte. Nach der Rückkehr nach Frankfurt machte sich Hennemann mit dem Teppich- und Gardinengeschäft Neles selbständig, gründete 1949 einen Großhandel für Sportartikel. Bis zu seinem Ruhestand 1991 war er Handelsvertreter mehrerer Firmen für modische Strickwaren.
1964 bezog er mit seiner Familie die Wohnung in der Oswaltstraße, in dem er heute noch wohnt. Dass dort die Erinnerung an die See in Form von Schiffen gegenwärtig ist, versteht sich von selbst. Mehrfach schon blickte Hennemann dem Tod ins Auge. Auch als er wegen der Krankheit seiner Frau prozessierte und vor sechs Jahren die Nachricht erhielt, da sei juristisch nichts zu machen. „Damals dachten die wohl, ich werde eh bald sterben.“ Doch Hennemann gibt nicht auf, will den Ausgang des Verfahrens in einem weiteren Buch dokumentieren. „Es fehlt nur noch das Urteil des Bundesgerichtshofs “, erklärt er sichtlich gelassen. (got)
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